Lieferkettengesetz – eine Frage der Perspektive

Lieferkettengesetz – eine Frage der Perspektive

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1. September 2021
In einem Beitrag in der LogReal.Direkt, der Fachzeitschrift für multimodale Logistik & Real Estate, gibt Dr. Rudi Aunkofer eine Einschätzung zu den Konsequenzen des neuen Lieferkettengesetzes.

Der Bundestag hat am 11. Juni 2021 den Gesetzentwurf der Bundesregierung über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten angenommen. Ziel ist es, Menschenrechte und Umwelt in einer global vernetzten wie arbeitsteiligen Wirtschaft besser zu schützen.

Was bedeutet dies für die Logistik-Kette und das Supply Chain Management?

Globale Wertschöpfungsketten sind für 80 Prozent des Welthandels verantwortlich und bilden die Lebensgrundlage für eine halbe Milliarde Menschen weltweit. Der Wohlstand und das Entwicklungspotential vieler Länder v.a. in Asien, Afrika und Südamerika hängt stark von diesen Wertschöpfungsketten ab. Aufgrund seiner Rolle als drittgrößte Exportnation weltweit und der starken Einbindung in diese Wertschöpfungsketten kommt Deutschland als Import- wie Exportland eine besondere Rolle zu. Unser wirtschaftlicher Erfolg ist vom Funktionieren der globalen Supply Chain abhängig, was uns die Pandemie-Situation der letzten Quartale erlebbar vor Augen geführt hat. Somit ist es logische Konsequenz, dass im Kontext der Diskussion um Corporate Social Responsibility, der Einforderung von Nachhaltigkeit und Umweltschutz sowie der Einhaltung der elementaren Menschenrechte, die bestehende freiwillige Vereinbarung in ein Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz überführt wurde.

Für die Transport- und Logistikbranche sind – dem PESTEL-Ansatz (Political, Economic, Social, Technological, Environmental, Legal) folgend – vor allem folgende Aspekte von Relevanz:

  • Politisch | Die lokalen Regelungen in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland werden den Druck erhöhen eine europaweit gültige Regelung einzuführen. Dies wird aufgrund der Angleichung von Standards zu einem faireren Wettbewerb in der Transport- & Logistik-Branche führen.
  • Wirtschaftlich | Die erforderlichen Überwachungsprozesse entlang globaler Liefernetzwerke werden zu höherer Effizienz, mehr Flexibilität und Kostenvorteilen führen. Der Standort Deutschland wird attraktiver werden, der Bedarf für regionale & lokale Logistik wird steigen.
  • Sozial | Der zu erwartende Angleich des Kostenniveaus (v.a. Lohnkosten) machen Westeuropa als Produktionsstandort attraktiver. Innereuropäischer Transport & Logistik werden hiervon positiv profitieren.
  • Technisch | Die erforderliche Informationslogistik wird die digitale Transformation in der Transport- & Logistikbranche beschleunigen. Die Fähigkeit, physische Transport- und digitale Informationsprozesse aufeinander abgestimmt zu managen, wird die Logistik-Branche in Summe multimodaler werden lassen.
  • Ökologisch | Die Entwicklung hin zu einer CO2-neutralen Kreislaufwirtschaft wird sich beschleunigen. Die Logistik-Branche wird von positiven Image-Effekten profitieren und für Arbeitskräfte attraktiver werden.
  • Rechtlich | Die Rechtsicherheit für Unternehmen wird zunehmen. Das finanzielle Risiko unerwarteter Belastungen wird im gesamten Produktions- und Liefer-Ökosystem reduziert.

Es ist somit eine Frage der Perspektive. Das Lieferkettengesetz wird einen Transformationsprozess initiieren, der die bislang gültigen Spielregeln verändern wird. Branchen die die diesem Prozess aufgeschlossen gegenüberstehen, werden somit von den Chancen profitieren und entlang der Lieferkette für die Herausforderungen Lösungen finden (müssen). Ein gutes Beispiel hierfür ist die Technology bzw. IT-Industrie. Sie ist mit der Produktion von Microchips, einer Vielzahl von elektronischen Bauelementen sowie anderer „Vor-Produkte“ wie kaum eine andere Branche von globalen, länderübergreifend-funktionierenden Lieferketten abhängig. Die Hochwasserkatastrophe in Thailand 2011, die viele Produktionsstätten überflutete, die Pandemie 2020, in der chinesische Häfen ihre volle Umschlagleistung nicht zur Verfügung hatten oder die Blockade des Suez-Kanals 2021 – Stichwort „Ever Given“ – verdeutlichen die weitreichenden Auswirkungen (u.a. Chip-Knappheit, Order-Backlog, Kurzarbeit) von eingeschränkt funktionierenden Lieferketten. Daher ist es besonders interessant, was die IT-Branche in Deutschland über die Einführung des Lieferkettengesetzes denkt.

Wie die Abbildung „Lieferkettengesetz in der Technologie Branche“ zeigt, stimmen 28 Prozent der Befragten dem Statement „Die Einführung des Lieferkettengesetzes ist richtig“ voll-und-ganz zu. Betrachtet man die positiven, prinzipiell zustimmenden Aussagen in Summe, so steigt der Zustimmungswert auf gut 68 Prozent an – ein sehr positives, bekräftigendes Ergebnis für die Einführung des Gesetzes!

Zwar stimmen auch 18 Prozent dem Statement „dass mehr Bürokratie zu erwarten sei“ voll-und-ganz zu, ähnlich hohe Werte erreichen aber auch die Zustimmung zu „besserem Schutz von Menschenrechten“ (17 Prozent), „mehr Umweltschutz“ (15 Prozent) und „mehr Nachhaltigkeit“ (14 Prozent), was das Thema „Bürokratie“ somit mehr als aufwiegen sollte.

Was ist somit in Konsequenz für die Logistik in der Übergangszeit bis 2023 (Unternehmen mit mindestens 3.000 Beschäftigten) bzw. 2024 (Unternehmen mit mindestens 1.000 Beschäftigten) und ab dem jeweiligen Anwendungszeitpunkt, d.h. ab der Gültigkeit des Gesetzes, zu erwarten?

Flexible Liefernetzwerke statt klassische Lieferketten. Fokussiert betrachtet, sind zwei Konsequenzen zu erwarten:

1 | In der festgelegten Übergangszeit werden sich klassische Lieferketten – auch aufgrund der skizzierten Pandemieerfahrungen – in Richtung dynamischer Liefernetzwerke weiterentwickeln, die zum Teil redundante Strukturen aufweisen werden. Hierdurch wird mehr Ausfallsicherheit bei gleichzeitigem Anstieg der Ausfallwahrscheinlichkeit aufgrund der Anforderungen des Lieferkettengesetzes, sowie Robustheit sichergestellt. Partner können flexibel, temporär und bedarfsorientiert eingebunden, Ressourcen können gemeinsam und zugleich individuell – dank verbesserter, digitaler Kommunikation – genutzt werden. Analog können Partner auch für gewisse Prozesse oder Zeiträume außenvorgelassen werden, wodurch Kosteneinsparungen evtl. Mehrkosten kompensieren. Das (digitale) Informationsmanagement von Lieferketten wird drastisch an Bedeutung gewinnen.

2 | ab dem Anwendungs-/Gültigkeitszeitpunkt im Jahr 2023 bzw. 2024 wird ein deutlich höheres Informationsbedürfnis an zentralen Punkten des Netzwerks bzgl. Produkten/Waren, ihrem Transportweg und den am Transport beteiligten Unternehmen vorhanden sein, um den gesetzeskonformen Transport zu dokumentieren und ggf. bei Verstößen nachzuverfolgen. Die eingeforderte Corporate Social Responsibility erfordert eine bessere Dokumentationsplicht.

Um das höhere Risiko eines gesetzesbedingten Ausfalls von Akteuren im Supply Chain Netzwerk zu managen und zu reduzieren wird engere Zusammenarbeit und mehr Transparenz erforderlich sein.

Die weiter zunehmende Digitalisierung der Transport- & Logistik-Branche wird dies Entwicklung ohne signifikante Zusatzkosten möglich machen bzw. aufgrund der Wettbewerbssituation und knappen Gewinnmargen möglich machen müssen. Logistik-Management wird somit deutlich größeren Mehrwert schaffen, als dies heute bereits der Fall ist und zentraler Wettbewerbsfaktor werden. Dies führt in Konsequenz dazu, dass sich für die Branche zusätzliche Einnahmemöglichkeiten aufgrund neuer Informationsdienstleistungen für Partner und Kunden eröffnen. Die Perspektive für Logistik ist somit aufgrund der Einführung des Lieferkettengesetzes positiv – diese Chance gilt es zu nutzen!

Der Artikel ist zuerst erschienen in der LogReal.Direkt - Ausgabe 04 September 2021
http://www.logrealdirekt.de/

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